Offenes Konzept in der Kita – die Vor- und Nachteile
In der Kita herrscht Spiel und Spaß, doch wie genau Kinder dort zusammenkommen, kommt auf die Einrichtung an, denn Kita ist nicht gleich Kita. Es gibt viele verschiedene Arten von Kindertagesstätten: Waldorfkindergärten, Bewegungs- oder Waldkindergärten sowie offene oder geschlossene Kitas. Eins haben alle Einrichtungen jedoch gemeinsam, sie besitzen ein ganz bestimmtes Kita-Konzept, das beschreibt, wie die pädagogische Arbeit im Einzelnen stattfindet. Das Konzept einer Kita ist ihr Aushängeschild, es sorgt für Klarheit, Strukturen und Transparenz gegenüber den Eltern. Noch vor ein paar Jahren befand sich das geschlossene Kita-Konzept auf Platz 1 der Kinderbetreuung: In einem solchen geschlossenen Konzept werden feste Gruppen mit einer Gruppenleitung gebildet. Die Kinder in diesen Stammgruppen spielen und essen zusammen – außerhalb der Gruppen kommen die Kinder meisten nur beim Freispiel oder auf dem gemeinsamen Spielplatz zusammen. Doch die Zeiten haben sich geändert: Inzwischen setzen immer mehr Kindergärten auf die sogenannte offene Arbeit.
Was ist ein offenes Kita-Konzept?
Aber was ist offene Arbeit? Angelika von der Beek sagt darüber in ihrem Fachtext „Offene Arbeit – Chancen und Grenzen”: “Offene Arbeit ist eine kindzentrierte Pädagogik, die ihre Wurzeln in einer Basisbewegung hat, die aus der Kritik an den bestehenden (Kita-)Verhältnissen erwachsen ist und die Gruppenpädagogik in Gruppenräumen durch eine so schlichte Idee, nämlich aus Funktionsecken Funktionsräume zu machen, revolutioniert hat, dass sie in jeder Kita umgesetzt werden kann.”
Kurzum: Das offene Kita-Konzept ist das Gegenstück zum geschlossenen Konzept. Es gibt keine festen Kindergartengruppen mehr, sondern es handelt sich dabei um so etwas wie “gruppenoffene Gemeinschaftsarbeit”. Das heißt, Kinder haben durch die Öffnung freien Zugang zu allen Räumen des Kindergartens. Diese Räume verstehen sich daher nicht mehr als Gruppenräume, sondern sie fungieren als sogenannte Funktionsräume. Jeder Funktionsraum spielt eine bestimmte Rolle für das Tagesgeschehen bzw. ist einer bestimmten Aktivität oder Aufgabe zugeordnet. Ob Bewegungsraum, Essensraum, Kreativraum oder Puppenecke – es entstehen ganze Themenwelten in den Funktionsräumen. Der Kreativität sind hierbei keine Grenzen gesetzt, denn je abwechslungsreicher die Räume, desto mehr Spiel- und Entwicklungsmöglichkeiten haben die Kinder. In diesen Räumen können Kinder täglich nach Lust und Laune selbst entscheiden, wo und mit wem sie zu Spielgruppen zusammenkommen möchten. Für die Erzieher*innen und anderen Kita-Fachkräfte hat das zur Folge, dass sie nicht mehr nur für eine feste Gruppe verantwortlich sind, sondern zu allen Kindern des Kindergartens eine gute Beziehung aufbauen sollten. Denn je nach Funktionsraum und Zuteilung sind sie täglich für andere Kinder verantwortlich.
Ziele der offenen Arbeit in der Kita
Das Konzept der offenen Kita unterliegt dem einfachen Grundsatz: Kinder und ihre persönlichen Bedürfnisse stehen ganz klar im Mittelpunkt, sie können selbst und frei entscheiden, wann sie welche Interessen pflegen oder vertiefen wollen – der Kindergarten ist lediglich Ort für diese Entwicklung. Ziel ist es, dass Kinder dank der vielen Funktionsräume die Möglichkeit haben, immer wieder mit neuen Kindern in Kontakt zu kommen. Für die Erzieher*innen bedeutet eine Öffnung hingegen die Möglichkeit, die pädagogische Arbeit deutlich flexibler zu gestalten – ihr Alltag ist nicht mehr von starren Plänen und Abläufen geprägt.
Offenes Kita-Konzept: Herausforderungen für das pädagogische Fachpersonal
Für die Erzieher*innen kann die Umstellung vom geschlossenen zum offenen Konzept eine große Herausforderung sein. Grundvoraussetzung für das Funktionieren einer Öffnung ist eine exzellente Kommunikation zwischen den einzelnen Fachkräften sowie eine verbindliche Absprache untereinander. Daher müssen alle Beteiligten im Alltag an einem Strang ziehen und am besten regelmäßig zum Gespräch zusammenkommen, um die Entwicklung und Bedürfnisse einzelner Kinder zu besprechen und sich gegenseitig auf den neusten Stand zu bringen. Je nach Einrichtung kann zudem die Arbeitszuweisung herausfordern, denn nicht jede offene Kita ist gleich: Es gibt offene Einrichtungen, in denen die Erzieher*innen einem festen Funktionsraum zugeordnet sind, während andere Kitas ein Rotiersystem anwenden – so ist jede*r Erzieher*in abwechselnd für einen anderen Raum sowie für die dort spielenden Kinder verantwortlich.
Ein Überblick: Vor- und Nachteile des offenen Konzepts in Kita und Kindergarten
Vorteile der offenen Arbeit
Die Studie “Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK)” aus dem Jahr 2013 konnte feststellen, dass Kinder in offenen Kitas durch das vielfältige Spielangebot eine höhere Prozessqualität, also eine stärkere persönliche Entwicklung als in der geschlossenen Arbeit durchleben. Weitere Vorteile der offenen Arbeit sind beispielsweise:
✓ Inklusionsgedanke: Vielfalt und Individualität eines jeden Kindes wird beachtet, geschätzt und gefordert
✓ Jedes Kind bekommt den Raum sich individuell zu entfalten
✓ Alle kennen sich (pädagogische Fachkräfte – Kinder, Kinder – Kinder)
✓ Kontaktfreudigkeit wird gefördert: Kinder lernen sehr früh mit vielen verschiedenen Menschen in unterschiedlichen Gruppen zusammenzukommen
✓ Förderung der Selbstständigkeit
✓ Vollständige Offenheit: Eltern sind an der pädagogischen Bildung der Kinder mitbeteiligt
Nachteile der offenen Arbeit
Besonders Kleinkindern kann in einer gruppenoffenen Kita zuweilen die Sicherheit einer festen Gruppe mit einem*r festen Erzieher*in fehlen, was im schlimmsten Fall zu einem Rückzug oder sogar zu Stress führt. Laut Sandra Richter in ihrer wissenschaftlichen Arbeit “Der offene Ansatz. Ein pädagogisches Konzept und seine subjektiven Verarbeitungen durch Fachkräfte in der Kindertageseinrichtung” kann auch das pädagogische Fachpersonal Schwierigkeiten mit der neuen Rollenverteilung haben: Erzieher*innen würden oftmals ungewollt in eine rein beobachtende und bewertende Rolle rutschen. Weitere Nachteile der offenen Arbeit sind unter anderem:
– Sensible und förderbedürftige Kinder können sich vernachlässigt fühlen
– Kleinkindern wird eine Eigenverantwortung abverlangt, der sie eventuell noch nicht gewachsen sind
– Es kann schwierig sein, den Überblick über die Aktivitäten jedes einzelnen Kindes zu behalten
– Anpassungsschwierigkeiten mancher Kinder aufgrund fehlender Regeln
– Steigerung der Geräuschkulisse innerhalb der Einrichtung (hier geht’s zum Newsbeitrag Lärm in Kitas)
Fazit: Offene Arbeit hat Potenzial
Für Kinder bedeutet ein offenes Kita-Konzept die Möglichkeit zur individuellen Entwicklung – weder starre Gruppeneinteilungen noch feste Zeiten sollen sie dabei stören. Das offene Arbeiten lebt von viel Freispielzeit in den Funktionsräumen, lediglich das gemeinsame Frühstück oder die Mittagsruhe sind feste Tagesordnungspunkte, auf die sich Kinder einstellen müssen. Durch das Öffnen von Kindertagesstätten besteht die Möglichkeit, ganz neue Freundschaften zu schließen sowie die Kontaktaufnahme zu anderen Menschen zu erlernen. Zudem fördert und hilft die offene Arbeit Kindern bei ihrem individuellen Entwicklungsprozess, der laut NUBBEK Studie aus dem Jahr 2013 statistisch gesehen signifikant höher ist als bei Kindern in geschlossenen Kitas. Dennoch wird eine Öffnung der Kita von vielen Herausforderungen begleitet. Während Kinder sich ohne Gruppen und eine feste Bezugsperson vernachlässigt fühlen können, müssen sich auch die Erzieher*innen daran gewöhnen, täglich für neue Kinder verantwortlich zu sein sowie größtenteils eine rein beobachtende Position einzunehmen. Die Potenziale der offenen Arbeit sind trotz allem unbestreitbar – aus Gruppenräumen Funktionsräume zu machen ist eine einfache, aber clevere Idee, um Kindern einen freien Ort zur Entwicklung zu geben.